Redundanz – das Zauberwort zum Fahrradurlaub

Redundant bedeutet, dass etwas doppelt oder mehrfach vorhanden ist. Der Begriff leitet sich von dem lateinischen Wort redundare ab (re = „zurück“ und unda = „Welle“) und steht im übertragenen Sinne für „überreichlich“, „wiederholt“ oder „überzählig“
rostige Liebesschlösser
Braucht man in seiner Ausrüstung etwas doppelt?

Ist gute Ausrüstung ein Freifahrtschein?

Diesen Sommer erlebte ich zwei Wochen mit Fahrrad und Zelt durch Luxemburg, Belgien, Frankreich und die Niederlande, 13x Zelt auf- und wieder abbauen, unterwegs bei hochsommerlicher Hitze und Regen, über Asphalt, Feldwege und Schotterpisten. So schön und erlebnisreich eine solche Fahrt auch ist, unterzieht man das gesamte Material einem „Stresstest“.

Und was kann so kaputt gehen? Einfach mal rüber zum reisefertig gepackten Drahtesel schauen. Alles, was man dann vor sich sieht, könnte ein Problem bekommen. Alles.

Mit ein paar Beispielen und Ideen dieser Tour möchte ich Euch ein wenig sensibilisieren. Das Meiste werdet Ihr bei einer Bodenseerundfahrt mit vorgebuchten Übernachtungsquartieren nicht erleben. Aber wenn Ihr mit etwas mehr Lust auf Abenteuer reisen wollt, dann sollte das Stichwort „Redundanz“ zu Eurem Planungsrepertoire gehören.

Übernachtung mit Hindernissen

Ein schöner Abend an einem abgelegenen Campingplatz. Der Bach rauscht in der Nähe, die freundliche Mitarbeiterin dieses Camping municipal hatte ihre Arbeit längst beendet.

Schnell die Zeltstangen ineinandergesteckt und plötzlich hörte ich ein lautes „Knack“. An einer spannungsreichen Stelle hatte eine Steckverbindung nachgegeben. So kann das passieren! Ein Zelt ohne Zeltstangen taugt nicht viel, besonders wenn Regen angesagt ist. Zum Glück ließ sich eine Lösung finden.

geschiente Zeltstange - Heringe als Redundanz
Mit drei Heringen und ein paar Kabelbindern notdürftig geschiente Zeltstange
Fazit: ein paar überzählige Schienen – in diesem Fall Heringe – und Kabelbinder gehören zur Grundausstattung!

Zum Glück lässt sich so ein Problem in der nächsten großen Stadt dann auch richtig beheben. In einem Baumarkt gab es ein passendes Rohr und vor dem Kassenbereich genügend Handwerkszeut, um Hülsen für die Problemstelle zurechtzusägen.

Baumarkt
Zwei kleine Stückchen Rohr abgeschnitten – neudeutsch: die DIY-Lösung

Platter Reifen mit unvollständigem Werkzeug

Unkaputtbar-Reifen machen nachlässig. Viele Jahre hatte ich keinen platten Reifen mehr, und so verzichtete ich darauf, meine defekte Luftpumpe zu ersetzen und mitzunehmen. Luftpumpen hat doch jeder, oder? Klare Antwort: nein!

Das kleine Dorf mit den 450 Einwohnern

Nach einer langen paradiesischen Abfahrt durch einen Wald in den Ardennen landete ich ich einem winzigen Ort – Matton-Et-Clémency. Muss man sich nicht merken, doch für mich war es eine spannende Erfahrung, durch einen menschenleeren, wie ausgestorbenen wirkenden Ort zu gehen und nach einer Luftpumpe zu fragen. Schießlich machte ich Bekanntschaft mit einer herzlichen, hilfsbereiten Familie, die mir helfen konnte. Äußerlich lebten sie in ziemlich prekären Verhältnissen und konnten leider auch nur eine einzige Sprache, deren ich nicht mächtig war: französisch. Irgendwie eine sehr berührende Begegnung. Und der Reifen war auch erst einmal wieder dicht!

Fahrrad mit Ausrüstung
Hier sind noch die vollen 5-6 Bar Reifendruck drauf

Der Bürgermeister Cédric Branz von Flize

Und als wäre es das nicht genug für diesen Tag, zeigte der Reifen am Mittag schon wieder einen Schwächeanfall. Anscheinend hatte ich beim Flicken ein winziges, loses Metallstück an der Felge übersehen. High Noon in Flize an der Maas!

Aber auch hier wieder diese freundliche Hilfe. Die einzige Anlaufstelle mit ein paar Menschen war die Boulangerie. Ein Kunde mit weissem Oberhemd gab mir zu verstehen, ich sollte mal hinter dem Kirchturm rechts abbiegen. Er käme da gleich hin. Es stellte sich heraus, das dieser freundliche, anpackende Herr Bürgermeister des 1.100-Seelen-Dorfes war. Dort in den Werkhallen der Stadtverwaltung konnte ich mein Problem endgültig lösen.

Wie wäre dieser Tag ohne den hilfsbereiten Bürgermeister weitergegangen? Ich weiß es nicht. Vielen Dank, Herr Branz!

Fazit: Reifenflickzeug immer und komplett dabeihaben!

Smartphone – geht es ohne?

Hier komme ich zum wichtigsten Teil, wenn es um Redundanz geht. Auf der Fahrt traf ich ein französisches Paar, deren Telefon in Calais gestohlen wurde. Damit waren nicht nur die fotografisch festgehaltenen Erinnerungen weg. Auch die Navigation und der Zugang zu Diensten wie Google war damit unterbrochen.

Mir erging es ähnlich. Nach wenigen Tagen ließ mich das Smartphone im nordfranzösischen Amiens im Stich. Ein technisches Problem.

Stop looking at your phone Kaffeetasse
Netter Spruch – besonders, wenn das eigene Smartphone kaputt in der Satteltasche liegt! – in einer Eisdiele in Belgien vor der holländischen Grenze

Was nun? Eine halbe Nacht lang überlegte ich, ob überhaupt und wenn, wie ich diese begonnene Reise fortsetzen kann. Wozu brauchte ich das Telefon? Da ergab sich bei mir folgende Erkenntnis:

  • Telefon/Erreichbarkeit — musste ersetzt werden
  • Navigation — wurde primär eh durch ein altes Garmin geleistet
  • Social Media — sollte auch mal ohne gehen
  • Auskünfte zu Campingplätzen und Supermärkten — die größte Hürde, aber vieles kann man wie früher erfragen
  • Wetterbericht — geht ohne, aber die Tour wäre – im Nachhinein – mit Infos über Wind und Regen entspannter gewesen
  • Kamera — meine Hauptkamera war zum Glück die Fuji X-S10
  • allgemeine Nachrichten — eine Wohltat, wenn man zehn Tage nichts mitbekommt!
  • Bahnticket für den Rückweg — hatte ich in Papierform incl. Bahncard dabei

Eine beeindruckend lange Liste! Vielleicht kommen bei Euch dann für andere Übernachtungen noch Buchungsportale dazu.

Also bin ich am nächsten Morgen zu einem naheliegenden großen Supermarkt geradelt und habe „nur“ ein Klapptelefon gekauft. Damit war die Lücke der Erreichbarkeit wieder geschlossen. Für alles andere hatte ich eine Parallellösung dabei oder konnte darauf verzichten. An die archaische Art des SMS-Schreibens mit Mehrfachdrücken der Nummerntasten konnte ich mich aber bis zum Schluss nicht so richtig gewöhnen.

Garmin und Klapptelefon
Die Basislösung – ein unsmartes Klapptelefon und ein altes Garmin-Navi
Fazit: Wie würde Eure Reise ohne Smartphone laufen? Überlegt, wozu Ihr das Telefon alles nutzt und versucht, die wichtigsten Dinge auch auf einem anderen Weg ohne das Gerät möglich zu machen.

Und sonst?

Diese Aufzählung ist längst nicht vollständig. Es gab auch kleinere Unzulänglichkeiten, wie zum Beispiel die Gummidichtung des Brennspirituskochers. Aber die hier genannten Probleme(?) waren die umfangreichsten. Also Dinge, ohne die die weitere Urlaubsfahrt nur schwer möglich gewesen wäre.

Nebenbei gibt es natürlich auch so ein Erlebnis mit nicht zugriffsfähiger Ausrüstung. Bei einem abendlichen Strandbummel in Hoek Van Holland war wenige Minuten zuvor das weltgrößte Containerschiff der Evergreen-Eigner eingefahren. Ein imposanter Eindruck. Leider hatte ich mein Teleobjektiv auf dem Campingplatz gelassen…

Ever Ace, Hoek Van Holland
Das weltgröste Containerschiff, die Ever Ace (Hintergrund) – Hoek Van Holland

Die Beruhigung: für das Meiste gibt es eine Lösung!

Für viele Ereignisse gibt es bei genauem Überlegen eine schnelle und einfache Lösung. Manchmal kann man auf kaputte Dinge auch ganz verzichten, wenn sie nicht wie gewünscht koopierieren wollen. Und da die Meisten von uns ja nicht im Dschungel oder im Outback unterwegs sind, kann man sich vor Ort Hilfe holen oder die Einkaufstüte mit adequatem Ersatz füllen. Supermärkte, Baumärkte, Fahrradläden und Outdoorgeschäfte sind zwar nicht an jeder Ecke zu finden, aber irgendwie doch erreichbar.

Hydrant
Für die meisten Probleme gibt es eine Lösung!

Die Belohnung

Und warum lässt man sich auf diese vielen Unwägbarkeiten ein? Es passiert vieles, das nicht abzusehen ist. Und dazu gehört auch viel Gutes! Neben den vielen interessanten Begegnungen und hilfsbereiten Menschen, die man während einer Radtour zu schätzen lernt, erlebt man auch viele andere Momente: Zum Beispiel fand ich einen Pfad zu einem menschenleeren, stillen, ja fast paradiesischen kleinen See mit einer tollen Picknickstelle. Einfach herrlich!

Picknick am See
Verborgener Picknickort mit Einsamkeit und Stille.

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