
Völlig unerwartet – was für eine Location
In unserer Gesellschaft werden diese Momente immer seltener. Wir können uns vorab über so vieles informieren und gelangen so oft an Orte, die sich (weltweit) austauschen lassen. Fastfood-Ketten, Hotels, Lebensmitteldiscounter und sonstige „global Player“ agieren da im Gleichklang.
Ich denke an den Feriengast an einem karibischen Sandstrand, der mürrisch auf den Sektglas-Eichstrich starrt und den Füllstand seines vertraglich vereinbarten Begrüßungsgetränk prüft. Dem Sonnenuntergang widmet er kaum ein Interesse. Hat sich daran schon auf Instagram satt gesehen.
Jeder bekommt genau das geboten, was er im Vorfeld gesehen oder bestellt hat. Und nicht mehr.

Diese Gedanken kommen in mir hoch, als ich den Vorraum der alten Fabrikhalle betrete. Ich hatte weder Erwartungen noch eine Ahnung, was mich hier erwarten würde. Hier wurden früher Sitzmöbel für Stadien und Kinos produziert. Vielleicht habt ihr selbst schon mal auf einem Produkt von Schröder & Henzelmann gesessen, das diese Halle verlassen hat. Auf ebay findet ihr noch welche unter dem Stilbegriff „retro“.
Und so „retro“ ist auch der Empfangsbereich der geladenen Gäste ausgestaltet. Einfach klasse! Ein einmaliges und unerwartetes Erlebnis.


Am liebsten wäre ich noch eine ganze Weile durch die Nebenräume gegangen und hätte mich mit der Kamera an den alten Zeugnissen der Industriekultur abgearbeitet. Aber es stand etwas ganz anderes auf dem Programm für den Abend: das nächste Unerwartete.

Visionen

Man trifft immer wieder auf Menschen mit Visionen. Thomas Modzel ist einer von dieser Sorte. Begeistert von der großen industriellen Halle macht er sich für einen vielseitig und flexibel nutzbaren Veranstaltungsort stark.
Mit einer Aufführung von aktuellen und ehemaligen Studenten seiner Schauspielschule lässt er ein großes Publikum an seinen Visionen teilhaben.
Immer wieder nachts um 4

Ein lustiges und kurzweiliges Theaterstück wurde geboten. Frei nach dem Motto: „Wozu braucht man Feinde, wenn man so gute Freunde hat?“.
Thomas hört nachts den Streit von Frank und Susanne, wird von ihnen nacheinander aufgesucht und um Unterkunft gebeten. Alles spitzt sich zu, als seine Mutter Lilo mit Hausmeister Halberschmidt auch noch auftauchen, um sich in der vermeintlich leere Wohnung zu vergnügen.

Aber auch wenn es in diesem Stück drunter und drüber ging, war es eigentlich gar nicht so wichtig, sich alle Namen und Begebenheiten genau einzuprägen. Dieses geschmackvoll Unfertige, diese improvisierte Bühne unter einem großen Hallendach machte es einzigartig. Besonders natürlich auch durch die schauspielerische Leistung der Akteure.


„Mehr Licht“
Johann Wolfgang von Goethe soll diese Worte als seine letzten gesprochen haben. Auch wenn es wahrscheinlicher ist, dass ihm dieses Zitat erst post mortem zwischen die Kiefer geklemmt wurde, musste ich an ihn denken.

Die Lichtverhältnisse auf der improvisierten Bühne waren für die Zuschauer völlig akzeptabel. Das ergänzende Tageslicht, das durch die Lichtkuppeln einfiel, wurde nur sehr langsam weniger – wie ein superträger Dimmer ging es unbemerkt abwärts. Die Augen der Gäste hatten so eine sehr lange Zeit, ihre Augen an das dann verbleibende Bühnenlicht zu gewöhnen.
Kameras und ihre Optiken sind da aber etwas unbestechlicher. Da ich das 90mm gern mit mindestens 1/250 sec auslösen wollte, blieben unterm Strich schnell ISO-Werte zwischen 5000 und 10000 übrig.

Für diese Veranstaltung hatte ich mir die Kamera und ein paar Linsen nur „fakultativ“ in einen Rucksack eingepackt, bin hingeradelt und war noch nicht sicher, ob beispielsweise andere schon dieses besondere Ereignis fotografisch einfangen werden. Wie schon oben gesagt, war eben vieles „unerwartet“.
Ein Stativ kommt wohl kaum in Frage. Doch vielleicht sollte man demnächst mal einen Teil davon – ein Einbeinstativ – noch einpacken. Gerade wenn nicht allzu viel Licht zur Verfügung steht, kann das eine große Hilfe sein. Eine Halbierung der Belichtungszeit kann die Ergebnissen noch ein wenig optimieren.



Es gibt eindeutig zu viele Schlüssel für diese Wohnung
Mit dieser Kernbotschaft endete das Stück. Unter großem Applaus feierten die Schauspieler ihre gelungene Premiere.
Vielleicht ist das auch ein positiver Ausblick auf die Visionen Thomas Modzels eines stets für alle „offenen Hauses“ – für viele unterschiedliche Aufführungen und Events. Viel Erfolg!
