Danzig ist eine tolle Nachbildung
Danzig wirkt richtig alt und gleichzeitig frisch und neu. Es liegt daran, dass wir als Besucher die Handwerkerkunst und den Fleiss polnischer Handwerker der letzten 70 Jahre bewundern. Die waren einfach klasse und dürfen darauf stolz sein!
Aus fotografischer Sicht ist das übrigens auch der Grund, warum ich hier keine Schwarzweissbilder zeige. Das würde dem jetzigen Danzig vielleicht einen vintage-Look geben, der der heutigen Bausubstanz nicht angemessen wäre. Das historische Bildmaterial – Link z.B. im nächsten Absatz – ist so mächtig, dass ich hier lieber die Finger davon lasse.
Während im deutschen Westen die großen Städte durch hässliche große Nachkriegsklötze verbaut wurden und breite autobahnähnliche Straßen alles nur schlimmer machten, wurde hier historisch angelehnt eine sagenhaft gute Arbeit geleistet.
Schaut euch bitte mal eine Seite mit historischen Fotos nach 1945 an. Es lohnt sich und gibt ein völlig anderes Bild auf die heutzutage gezeigte Kulisse. Das Danzig, was wir jetzt besuchen können, ist das neue Danzig und nicht das historisch alte. Das war in Schutt und Asche gelegt. Die Spuren eines Günter Grass und seiner Vorlage für „Die Blechtrommel“ kann man kaum noch erahnen.
Vielleicht zieht diese Stadt auch gerade aus diesem Grunde so viele Menschen fasziniert an. Es sieht so historisch, so alt aus und ist doch gleichzeitig so sauber.
Keine alten faulenden Fundamente, kein Werk mittelalterlicher Handwerker, die gerade keine Wasserwage zur Hand hatten. Wer schon mal auf Straßen durch nicht zerstörte Zentren gelaufen ist, weiss sicher, was ich meine.
Wenn man im Sommer mal ein paar leere Straßen fotografieren möchte, hat man nur zwei Möglichkeiten: früh aufstehen oder einen Regenguss nutzen. Wir hatten Glück mit der Regenvariante.
Danzig …August eine „perfekte Reisezeit“ – Shopping-time!
Summer in the city….
„Täglich ungefähr 70.000 Besucher genießen das bunte Treiben in den engen historischen Gassen Danzigs, am Wochenende können es leicht doppelt so viele werden. Wer eine Reise in die geschichtsträchtige Hansestadt plant, sollte dies unbedingt während der drei Wochen des Dominikanermarktes tun.
Der rege Trubel und das lebendige Spektakel sind weit über die Grenzen Polens hinaus bekannt und werden Besuchern noch lange in Erinnerung bleiben. „
Auszug aus der offiziellen Danzig-Info-Seite. Treffender kann man es nicht formulieren. Nach eigenen Angaben erstreckt sich der „Dominikanermarkt“ auf 40.000 qm. Möchte das nicht weiter kommentieren…
Neben dem Rummel der nach historischem Vorbild aufgebauten Stadt lockt Danzig mit vielen Museen. Das Museum of the Second World War ist eines davon.
Kleiner Tipp: Schöne Fotos von der interessanten Architektur kann man an dem Tag machen, wenn es geschlossen ist – so wie wir es antrafen. Irgendwie ein wenig deppenhaft von uns, denn eigentlich wollten wir doch rein…
Aber neben den größeren Museen und kulturellen Aktivitäten sind es manchmal auch einfach nur die kleinen Aktionen, die das Leben in einer Stadt ausmachen:
Turm der Marienkirche
Nichts geht über ein ordentliches Treppenhaus und mindestens 100-200 Stufen hoch zu einer Aussicht über eine Stadt. Egal wo.
Auch wenn wir in fast jeder Stadt versuchen, ein Treppenhaus zu finden, das lang genug ist, um sich einen Überblick zu schaffen, sind sie immer individuell, überraschend. Erinnert ihr euch an die Harry-Potter-Verfilmungen, die Szenen mit dem Treppenhaus? Die Treppen waren sehr luftig aufgehängt und veränderten im großen Treppenhaus ständig ihre Richtung.
Gut, bei der Kirchturmbesteigung waren die Treppen fest und unbeweglich angebracht. Trotzdem erinnerten sie mich etwas daran.
Westerplatte
Mindestens zwei Mal begann die Veränderung der Welt, wie wir sie kennen, in Danzig. Bei der ersten wurde Danzig unfreiwillig Bühne für den Beginn des zweiten Weltkriegs. Von dem Schiff „Schlewig-Holstein“ wurde am 1. September 1939 der polnische Stützpunkt auf der Westerplatte unter Beschuss genommen. Unheilvolle Jahre nahmen ihren Lauf.
Ein paar zerstörte Häuser, ein paar Stellen, an denen das polnische Munitionslager war und ein Denkmal, das seine „Schönheit“ schon vom Wasser aus ausgiebig zeigt. Vielleicht haben die Planer dieses „Mahnmal“ auch für die architektonische Zunft wörtlich genommen.
Nimmt man ein Ausflugsboot zur Westerplatte, so kann man neben der Schifffahrt auch den Blick auf so manche Hafenanlagen geniessen.
Werft Danzig
Die zweite große und weltverändernde Entwicklung startete auf der Danziger Werft. Viele können sich sicher noch an die Streiks, die Gewerkschaft Solidarność und ihren Vorsitzenden Lech Wałęsa aus den 1980er Jahren erinnern. Ich fand das damals ziemlich bewegend.
Nach dem Urlaub sprach ich mit einer Sängerin, die wenige Jahre nach dem Aufstand in einem Chorprojekt dort auftrat. Auch über 30 Jahre später bekam sie Gänsehaut, als sie sich mit bewegter Stimme an diese Zeit erinnerte.. über das Verbot, in einer Kirche aufzutreten und die Courage, ein von den regierenden Kommunisten „verbotenes“ Lied zum Einzug zu singen.
Im Endeffekt legten die Werftarbeiter unter Einsatz ihres Lebens den Grundstein für das Ende des gesamten Ostblocks. Wer von den Werftarbeitern hätte schon ahnen können, dass sie damit auch den Impuls zur deutschen Wiedervereinigung legten.
Und was bleibt? Die Werft ging nach Öffnung Richtung Westen irgendwann pleite, viele der stolzen Hallen sind dem Verfall preisgegeben. Und die Helden von damals? Der Glanz dieses epochalen Umwälzung scheint bei vielen Polen angesichts einer immer stärker polarisierten und gespaltenen Gesellschaft zu verblassen. Schade.
Auf dem alten Gelände gibt es zur Erinnerung an diese Zeit ein Museum – das European Solidarity Center. Wer nicht daran glaubt, dass Menschen etwas verändern können („fridays for future“ etc), der sollte mal drüber nachdenken.
Der Kontrast – shopping-city und Danzig-Werft – hätte nicht krasser sein können. Auf der einen Seite die unkomplizierten, adretten Nachbauten und auf der anderen Seite die vernachlässigten historischen Orte voller weltprägender Geschichte und immer noch präsenten Emotionen …..die langsam vor sich hinrotten. Spontan denke ich: Geld regiert die Welt… und Solidarische Gemeinschaften verändern sie.
Im Rucksack waren dabei…
Vielleicht zwischendurch noch ein paar Worte zum Fotokram im Rucksack: Natürlich als Body den Fuji X-T2, der hat sich bewährt und ausserdem besitze ich ausser einer alten X-E1 als Redundanz auch nichts anderes mehr. 4 Objektive waren im Gepäck (in Klammern Prozentanteil aller Danzig-Fotos mit Sternebewertung):
- XF16mmF1.4 R WR (18%)
- XF18mmF2R (27%)
- XF35mmF1.4R (21%)
- XF90mmF2 R LM WR (33%)
Viel zu ausgewogen, um eines davon beim nächsten Mal wegzulassen. Hat irgendwie jedes seine Begründung. Schade, denn ein Body und vier Objektive sind doch ein ziemlicher Klumpen.
Campingplatz
Südöstlich am Rande der Stadt und mit öffentlichem Nahverkehr prima angebunden liegt der Camping „Stogi“ nr 218. Da kann man sich sogar entscheiden, ob man sich in das Getümmel der Stadt wagt oder doch lieber an den nahgelegenen Strand geht.
Im Moment ist die Anfahrt durch den nächstgelegenen Ortsteil eine riesige Baustelle. Die Linie der Straßenbahn wird bis zum Strand und Campingplatz durchgebaut. Danach wird es noch bequemer, einfach in die Strassenbahn und direkt in der Innenstadt aussteigen – und wahrscheinlich leider auch etwas unruhiger.
3 Gedanken zu “Danzig oder auch Gdańsk”
Ich bin ziemlich beeindruckt.
Vor allem alte Industrie magg ich, vor allem, wenn sie die die Werft noch eine Geschichte haben, die wir doch damals intensiv mitverfolgt haben. Und die unser Land drastisch verändert hat, denn ohne die Danziger Weft hätte es wahrscheinlich keine Wiedervereinigung gegeben.
Auch sonst machen Deine Bilder mächtig Lust auf die Stadt.
Schon länger fällt mir auf, dass Du gerne das 90er anwendest. Müsste etwa das 135er beim Kleinbild sein. Aber warum brauchst Du das 16er und das 18er, die sind doch sehr dicht bei einander.
Lieber Gruß
Kai
…das 16er (~24mmKB) und das 18er (~27mmKB)?
Das 18er ist meine „immer-drauf-Linse“. Scharf, sehr leicht, tolles Farbrendering. Es ist einfach das Objektiv, das zu mir passt. Wahrscheinlich würde ich mir noch nicht einmal eine neue Version davon kaufen, wenn sie herauskäme. Sie ist einfach noch nicht zu „technisch“ gerechnet.
Leider gibt es 3 Gründe, sie manchmal gegen das 16er zu wechseln. Zunächst der weitere Winkel – in Räumen, Straßen oder einfach wegen der Bildaussage. Als zweites f/1.4 – also mehr Freistellung und dunkeltauglicher. Und drittens – und da bin ich beim eingangs erwähnten leider – ist die Vergütung der Linsen beim 18er nicht so toll für Gegenlicht. Dunkle Bildteile werden dann weicher und entlang der Übergänge leidet die Abgrenzung.
Das erste Bild oben mit dem Kind im Gegenlicht wäre für mich von der Perspektive ein 18mm(27Kb) gewesen, bin aber wegen des Gegenlichtes dann auf 35mm ausgewichen. So wurde es dann so ausdruckvoll, wie es sollte. Und im stockfinsteren Treppenhaus des Kirchturms ist f/1.4 vom 16er eine gute Variante.
Ist dann kein Gegenlicht in Sicht und auch kein Plan – dann kommt das 18er gleich wieder drauf. Weil es so schöne Bilder macht…
Vielleicht liegt alles auch nur daran, dass ich im Gegensatz zu Dir nur Objektive und nicht verschiedenes Filmmaterial austauschen kann. Der Sensor ist ja aussichtslos fest im Gehäuse. Der Analogbereich gibt Dir ja deutlich mehr Varianz durch das Material. Vielleicht wird dadurch der Einfluss durch die jeweilige Objektivrechnung /-design auch manchmal zu sehr vernachlässigt.
Ich wünsche Dir noch einen schönen „Rest“-Sonntag!
Jürgen
Da bin ich nochmal…
Genau vor drei Jahren um diese Zeit war ich / wir auch drei Tage in Danzig.
Meine Großeltern und meine Mutter kamen aus Elbing, liegt wohl ein kleines höher.
Mein Opa steht jetzt noch im Stadtbuch … Holzkaufmann, Hermann Marienfeld.
Das Foto vom Kranentor hing bei meiner Oma immer in der Küche.
Als wir am 6.Okt. 2016 nach der langen Autofahrt noch in die Stadt wollten,
abends bei Regenwetter, vom Hotel kommend um eine Hausecke gingen und das Kranentor zeigte sich im Abenddunst,
ein Gänsehaut Moment… Beste Grüße Uwe