Ostseeradweg von Lübeck nach Ueckermünde

Auf so einer Zweirad-Challenge sammelt man eine extra große Packung Eindrücke. Nachher die Erlebnisse rauszukramen, die teilenswert sind, ist eine schwere Aufgabe. Reisebeschreibungen gibt es schon, tolle Ostsee-Bilder sind keine Mangelware. Versuchen will ich das aber trotzdem mit einer kleinen Sammlung von Eindrücken und Ideen mit ein paar Bildern von der Tour.

Vielleicht findet ihr den einen oder anderen Punkt für euch nützlich. Gern auch die Erkenntnis, dass ihr das „so“ nicht machen wollt. Wäre für mich auch o.k.!

Die Art der Reise

Ein paar Dinge laufen seit sieben Jahren immer wieder ähnlich ab: Der Anfang und/oder Endpunkt ist immer ein Bahnhof, der verkehrstechnisch gut angebunden ist. Das vermeidet zu viele Umstiege, die nerven könnten. Seit ein paar Jahre bevorzuge ich auch ICs und ICEs, denn da habe ich für das Rad Platzkarten. Selbst das ist bei der DB keine wirklich „sichere Bank“, beruhigt aber trotzdem etwas. Bei Regionalexpress-Fahrten treibt es sonst schnell die Schweißperlen auf die Stirn, wenn an einem sonnigen Sonntag plötzlich noch gefühlt 1000 andere Radexperten an der Bahnsteigkante warten.

Dieses Mal ging es früh morgens mit IC und RE nach Lübeck.

Rügen Inselbahn
Bahn auf Rügen, zum Glück NICHT mein Zug nach Lübeck

Als Fahrzeug dient ein altes, aber gepflegtes Tourenrad. Manche Teile und Schrauben sind oberflächlich schon leicht korrodiert, alle wichtigen Teile aber neu oder gut gewartet. Dann ist das Radfahren nicht anstrengend und hat mit diesem kleinen Anflug von Rost und Alter so eine Art zusätzlichen Diebstahlschutz. Letztes Jahr hatte ich mir noch einmal richtig gute Räder angesehen, bei einem Exemplar mit Rohloff-Schaltung und Riemenantrieb wäre ich fast schwach geworden. Doch ziemlich schnell kam die Erkenntnis, dass ich das Neue vermutlich kaum unbeaufsichtigt und abgeschlossen in einer größeren Stadt stehen lassen könnte. Oder das Fahrradschloß wäre schon so schwer wie die Hälfte des Reisegepäcks.

Hafen Timmendorf, Poehl
Leuchtturm Poehl, zum Glück NICHT mein Fahrrad

Und dann noch zum Thema Übernachtung: ich bevorzuge, wenn ich allein unterwegs bin, ein ganz leichtes 2-Personen-Zelt. Zwei Drittel des Platzes für die selbstaufblasende Isomatte und ein Drittel für die Ausrüstung. (Innenfoto weiter unten)

Die Zeltbereiche der Campingplätze entlang der Ostsee waren jetzt am Ende der Saison fast leer – ganz im Gegensatz zu den Wohnmobilstellplätzen. Mit einem Wohnwagen oder -mobil geht im September an attraktiven Orten spontan fast nichts mehr. Also, wenn man Zelturlaub mag, ist man in einer Zeit, in der Kanaren und Balearen unfassbar weit weg erscheinen, auf gut gefüllten Inlandsplätzen mit einem Zelt besser dran.

Leider wird es – das muss ich erwähnen – immer wichtiger, sich etwas zur Geräuschdämmung für die Ohren mitzunehmen. In meiner Vorstellung hatte ich für den Herbst, wenn es früh dunkel, kühl und etwas klamm werden kann, etwas anders erwartet. Das ist ein Nachteil des Zeltes im Vergleich zum viel geschlosseneren Mobil oder Wohnwagen. Nicht jeder Platz ist so einsam wie der im folgenden Bild. Und manchmal merkt man leider auch zu spät, dass die Wahl des eigenen Platzes geräuschtechnisch ein Griff ins Klo war: dann sind nachts ausgerechnet gerade die unmittelbaren Nachbarn die lautesten Vertreter auf dem gesamten Campingplatz. Das kommt vor!

Krüger Naturcamping Rügen
zum Glück MEIN Zelt in ruhiger Lage nähe der Kreidefelsen auf Rügen

Ostseeküste Mecklenburg-Vorpommern

Vor inzwischen über dreißig Jahren öffnete sich die unüberwindbar geglaubte Grenze und die Ostseeküste McPomms wurde erreichbar. Trotzdem war ich bislang nur 3x dort oben am Strand. Geht es euch auch so?

Gleich nach der Wende ging es mal nach Rügen. Es war schon ein besonderes Erlebnis, nach diesen dreißig Jahren wieder über dieselbe Brücke zu radeln. Witzigerweise war die alte Brücke genauso ein Nadelöhr wie damals. Kilometerlanger Stau! Dieses Mal allerdings, weil die neue Brücke wegen Wartung über Monate geschlossen war. Aber da fährt man mit dem Fahrrad ja gern auf dem Radweg dran vorbei…

Strahlsund-Rügen alte Brücke
Brücke zwischen Strahlsund und Rügen -Stau wie vor 30 Jahren
Brücke Strahlsund-Rügen
War damals noch nicht da und aktuell wegen Wartung gesperrt- Brücke Strahlsund-Rügen

Gleichzeitig gab es für mich so viele unbekannte Orte, von denen man zwar immer gehört hatte, aber die man nicht richtig einordnen konnte. Boltenhagen, Kühlungsborn – o.k. Aber, wie ist Zingst? Wie sieht es auf Usedom aus? Ist die Landschaft des Darß wirklich so reizvoll?

Für Antworten auf diese Fragen muss man schon selber hin. Zumindest oberflächlich hat das auch einiges gebracht. Aber ehrlich gesagt habe ich immer noch keine richtige Ahnung – kann aber behaupten, dass ich da schon mal gewesen sei…

Ostseeküste bei Boltenhagen
Steilküste Nähe Boltenhagen

Und die dritte Motivation ist die grundsätzliche, die mich immer wieder antreibt: einfach mal aus der bekannten Umgebung raus. Raus aus der Komfortzone, spontan den Tag über Entscheidungen treffen, Wege entdecken. Wir werden doch – und mit zunehmendem Alter wird das nicht besser – immer unflexibler.

Wer aber so richtiges Abenteuer erwartet, den muss ich enttäuschen: Mecklenburg-Vorpommern ist nicht Patagonien. Dort ist fast alles ordentlich und geregelt. Überlebenstechniken, die in der Wildnis helfen, braucht man sich für die Region nicht anzueigenen. Also kein Raumschiff-Enterprise-Gefühl von der Erforschung unentdeckten Welten….

Prora, Rügen
Prora auf Rügen

Reisezeit Mitte September

Mit Fahrrad und Zelt in der zweiten Septemberhälfte hat schon etwas Besonderes. Das muss man wollen. Es gibt doch deutliche Unterschiede zum Mai/Juni, auch wenn ich das freudige Erlebnis eines großen Hochdruckgebietes geniessen konnte. Erst recht zu Corona-Zeiten.

Strandkörbe Ostsee
Ende der Strandkorbsaison naht

Es leuchtet jedem ein, dass es kühler sein kann. Auch bei gutem Wetter wird es Abends schnell etwas schattig. Ein Schlafsack, der bis 0°C warm hält, kann im September schon mal zeigen, ob er etwas taugt. Und wenn etwas von der Ausrüstung nass ist, dann ist es auch tagsüber nur noch schwer zu trocknen. Trockenräume, wie zum Beispiel auf Ganzjahresplätzen in den Alpen sucht man vergeblich.

Grundregel: Ein Zelt baut man abends genauso nass auf, wie man es morgens mit dem ganzen Tau drauf in Packsack gestopft hat. Zum Glück ist das bei den heutigen Materialen kein Problem mehr.

Hafen Insel Poehl
Am Leuchtturm auf Insel Poehl

Was mir aber besonders auffiel und meinen Tagesablauf prägte, war der späte Sonnenaufgang und der sehr frühe Sonnenuntergang. Das kannte ich von den anderen Fahrten bisher so noch nicht.

Mein Tag begann normalerweise zwischen 6:30 und 7:00 Uhr. Warum so früh? Weil der Abend so kurz war! Es wurde schon gegen 19:30/20:00 Uhr dunkel und recht ungemütlich. Zu Coronazeiten hält man sich da recht ungern noch lange in Gaststätten oder anderen geschlossenen Räumen auf. Der Tag endet also schnell im Zelt – und das überraschend früh!

Achtung: Mitte September verkürzt sich die Zeit zwischen Sonnenauf- und untergang um 4 Minuten – täglich! Das sind in einer Woche schon 21 Minuten weniger Tageslicht. Es kann also entscheidend sein, welche Woche(n) man im September aussucht.

Poehl
Abenddämmerung auf Poehl

Route individuell umgestaltet

Der offizielle Ostseeküstenradweg ist prima ausgeschildert. Da gibt es kaum Stellen, an denen man unsicher werden könnte. Also eigentlich kein Grund, warum man sich über die Routenplanung viel eigene Gedanken machen müsste.

Trotzdem hatte ich für mich ein paar Bereiche angepasst. So kann man zum Beispiel über 200 Streckenkilometer rund um die Küste Rügens versenken – was mir für mein Vorhaben eindeutig zu lang war. Gleichzeitig wollte ich unbedingt noch auf die Insel Poehl, die nicht Teil des offiziellen Weges ist.

Es hat beim Befahren des „offiziellen“ Ostseeradweges Sinn, Bausteine hinzuzufügen oder auszulassen. Durch diese Insel-/Halbinselstruktur ist dieser Weg etwas modularer als ein normaler immer-entlang-dem-Fluß-Weg aufgebaut.

Tourenstart in Lübeck
Altes Garmin Oregon 600 am Start in Lübeck

Übrigens gab es auch noch ungeplante Umwege. Der Fährverkehr zwischen Usedom und dem Festland fehlte an der Hubbrücke Karnin im Osten der Insel (nur eine Info für Menschen, die jetzt begeistert planen möchten). Man hätte fast auf die andere Seite des Wasser spucken können, aber so wurde diese Stelle unüberwindbar. Aber so ist das am Wasser…

35 km extra über Anklam wurden fällig – und davon das meiste entlang einer Bundesstraße. Soll in 2021 aber alles wieder besser werden. .

Hubbrücke Karnin
Hubbrücke Karnin

Fotoausrüstung

Die folgenden Fotos wurden mitten in der Mittagssonne aufgenommen. Das zeigt auch etwas das Dilemma auf einer Tour mit schnell wechselnden Orten. Gerne würde ich diese aussergewöhnlichen Motive bei optimalerem Licht, vielleicht auch mit etwas Morgennebel machen. Aber in dem (einen) Moment, den man auf diese Szene trifft, bleibt kein Tageszeiten-Beleuchtungs-Spielraum. Irgendwie schade.

Nordwestlich Zecheriner Brücke
in der Mittagssonne I

Und das muss ich zugeben: manchmal frage ich mich, ob auf einer Radtour ein gutes Mobiltelefon für Erinnerungsfotos reichen würde. Statt Kamera und Objektive doch lieber einen Kocher für Kaffee oder eine kleine Mahlzeit im Gepäck…

Aber letztendlich freue ich mich nach der Reise über die doch immer noch qualitativ bessere Ausbeute. Dieses Mal hatte ich grundsätzlich wieder meine bewährte „Leichtausrüstung“ mit: die Fuji X-T2 mit dem XF18mm und dem XF35mmF1.4.

Ähem… bei einem zusätzlichen Objektiv bin ich dann doch noch „schwach“ geworden – das XF90mm kam noch mit. Ich merke, dass ein „135er“ (auf Kleinbildformat umgerechnet) schon mit dabei sein sollte. Wenn das doch nicht so groß wäre!

südlich von Hubbrücke Karnin
in der Mittagssonne II

Und ein „Extra“ wird nächstes Mal auch wieder dabei sein: ein Blasebalg zum Sensorreinigen. Ich fotografiere ja gern offenblendig, aber die letzten 2-3 Tage hätte es mit dem Dreck auf dem Sensor bei starkem Abblenden ziemlich miese Fotos ergeben.

Was könnte sonst noch als Tipp interessieren?

Hier noch ein paar Stichpunkte, die zum Nachdenken anregen könnten:

1. Man wundert sich, wie früh man zu seinem Startpunkt anreisen kann. Mit einem leeren Regionalexpress um 4:45 Uhr begonnen, kam ich vor 10:00 Uhr in Lübeck an. Das ist eine optimale Zeit, um den ganzen Tag als Rad- und Urlaubstag zu geniessen.

Um diese Uhrzeit sind die REs auch noch nicht überfüllt, wie man sieht:

Fahrradmitnahme Regionalexpress
Platz! – Regionalexpress Samstag gegen 5:00 Uhr

2. Zelt und Isomatte kommt in einen wasserdichten Sack, der in Fahrtrichtung (!) zwischen den seitlichen Taschen verzurrt ist (Foto oben). Das geht ganz gut, wenn die Rolle nicht zu lang wird. Dadurch sind die Öffnungen der Gepäcktaschen besser erreichbar. Ausserdem – wenn auch minimal – senkt das den Windwiderstand etwas. Der Packsack ist übrigens bewusst etwas zu groß gewählt – Staureserve für den Notfall.

3. Eine wichtigste Ordnungserrungenschaft sind 5 Baumwolltaschen in unterschiedlichen Farben. So kann ich Waschzeug, Essen&Utensilien, Reparaturkram und Technisches locker sortenrein trennen. Abends hole ich sie aus den Satteltaschen, lege sie neben den Schlafsack und habe sofort alles griffbereit. Morgens alles wieder rückwärts und fertig! Den ganzen Tag Ordung und schnelles Auffinden des Gesuchten. Einfach der Farbe nach in der Fahrradtasche wühlen. Da sie nicht aus Kunststoff sind, trocknet der Inhalt auch nach aussen etwas besser. Neu dabei auch ein grobmaschiger Wäschesack für Gebrauchtes – zur besseren Trennung. Das erspart dann die Geruchsprobe.

Ordnung im Zelt
optimale Ordnung dank verschiedenfarbiger Beutel

4. Ich liebe es, früh am Morgen Fahrrad zu fahren: der Nebel, die Stille, die aufgehende Sonne. Und manchmal ist es auch deshalb vorteilhaft, wenn der erwartete Gegendwind erst am Vormittag aufkommt. Deshalb esse ich erst eine Kleinigkeit im Zelt (Rosinenbrötchen etc.) mit ein paar Schluck Wasser und steuer nach dem Abbau erst nach 10, 20 oder 30 km eine Bäckerei an, wo ich mir einen richtigen Kaffee und frische Brötchen gönne.

Ärgert euch bei fertig geschmierten Brötchen auch manchmal die Menge Remoulade oder Butter? Kleiner Tipp: einfach ein „normales“ leeres Brötchen dazukaufen und Hälften untereinander tauschen. Dann sind sie jeweils nur noch halb so fettig. Und der Belag sollte mühelos für beide Brötchen reichen.

Jetzt im September, wo es morgens doch leider noch recht frisch und klamm war, wäre ein selbst gekochtes heißes Getränk am Zelt und ein etwas späterer Start auch eine gute Option gewesen. Vielleicht beim nächsten Mal…

Eine richtig gute Tour

Allee Ostsee Kopfsteinpflaster
Alte Allee in der Morgensonne

Mein Fazit ist auch dieses Mal, dass diese Tour richtig schön war. Ich kann es nur empfehlen – vorausgesetzt natürlich, dass man sich für diese Art der Reise begeistern kann. Für mich ist diese Mischung aus frischer Luft, Bewegung, Abwechselung und dem Gefühl von Unabhängigkeit eine der besten Formen des Unterwegsseins. Und sie schafft großen Abstand vom normalen Leben.

Klar, nicht immer ist das komfortabel. Beispielsweise die schöne Allee in der Morgensonne vor Greifswald. Sie sieht toll aus. Bei genauerer Betrachtung erkennt man aber, dass der Belag aus Kopfsteinpflaster besteht. Das rüttelt dann doch schon ganz schön durch.

Insgesamt waren die Wege auf dem Ostseeradweg meistens in einem sehr gut fahrbarem Zustand. Das angesprochene Kopfsteinpflaster in der Summe eher die Ausnahme.

Allee Ostsee Kopfsteinpflaster
gleiche Allee, andere Perspektive: leider einige Kilometern Kopfsteinpflaster

Und man sollte immer etwas flexibel sein, denn man kann nicht alles vorausplanen. Temperatur, Niederschlag oder Windverhältnisse sind nur ein paar der vielen Parameter. Da gehört auch etwas Glück dazu!

Es hilft etwas, wenn man kleine Herausforderungen wie einen Teil einer individuellen „Game-Show“ sieht, die man bei Reiseantritt mitgebucht hat.

Zeltnummer 13
eine geglückte Tour hängt von vielen Faktoren ab – definitiv aber nicht von der Zeltnummer

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