Am 17. Oktober 2018 verstarb der Istanbuler Fotograf Ara Güler. Sicher habt Ihr davon gehört. Vor fast vier Jahren besuchte ich eine Ausstellung seiner Werke im Willy-Brandt-Haus in Berlin.
Historisches Gedächtnis einer großen Stadt
Der Alltag – der faszinierte mich an seinen Fotos. Eine Stadt voll pulsierenden Lebens, voll Menschen. Eine Stadt mit Pferdefuhrwerken. Ich kann mich noch an ein Bild eines Unfalls mit Lastenkarren und Pferden erinnern. Viele Fotos findet Ihr auf Ara Gülers Website. Schaut unbedingt mal drauf.
Seine Bilder sind einmalig. Auch wenn wir nicht auf Augenhöhe mithalten können, so können wir etwas lernen. Ich denke, dass das „Alltägliche“ einen ganz besonderen Reiz hat. Nicht kurzfristig, nicht laut, sondern eher in der langzeitlichen Betrachtung.
Wenn wir mit der Kamera unterwegs sind, sollten wir uns öfter fragen: was ist -jetzt/heute- normal? Was fällt uns nicht auf, weil wir es nicht anders kennen? Was ist so alltäglich, dass wir es nicht mehr wahrnehmen? Und was wird es in Zukunft trotzdem nicht mehr geben?
Handgesteuerte Autos mit Passagieren, die einen runden Gegenstand halten? Smartphonestarrende Fußgänger? Da sollte jeder mal für sich nachdenken – und sich ein eigenes Bild zum erinnern machen!
Analog und schwarzweiss
Ein zweites Erlebnis verbinde ich mit dieser Ausstellung: die Kraft, die Aussagefähigkeit analoger Schwarz-weiss-Fotos. Das Gefühl von Authentizität. Die Geschichten, die Ara Güler dabei erzählt, wechseln durch sein leises „Klick“ vom Belanglosen zum kollektiven dauerhaften Bewusstsein.
Die klassischen Bildgestaltungsregeln hat er oft nicht eingehalten. Erfrischend, wie er sich darüber hinweg setzt und vielleicht auch durch die Einmaligkeit des analogen Belichtungsvorgangs darüber erhaben scheint.
Auch wir sollten mal überlegen, wie wir etwas davon übernehmen können.
Große Drucke
Dabei lebten die Fotos der Ausstellung in Berlin besonders vom Print. Ein festes Größenmaß, vom Fotografen bestimmt, erlaubten eine Betrachtungsweise, wie es der Aufnehmende gesehen hat.
Ein Hereinzoomen bis auf Filmkornebene wird den meisten alten Werken nicht gerecht. So detailliert und perfekt sind die Aufnahmen oft nicht. Aber wen stört das angesichts der großen Geschichten, die Ara Güler darin erzählt.
Ein Gedanke wird mir immer mehr zur Gewissheit: Wenn Leute bei einem Foto als erstes über Kamera und Auflösung reden, dann ist das alles andere als ein Kompliment. Ein Bild muss zuerst durch Inhalt begeistern. Sonst ist es nichts wert – unabhängig von Pixeln oder Korn. Ara Güler hat dazu viele Beispiele geliefert. Gerade zu Zeiten vieler neuer Kameramodelle und „black friday“-Gier wieder aktuell.
Historische Fotos haben etwas. Zum Abschluss die b&w-Bearbeitung eines alten Farbdias aus dem Familienarchiv.
Wahrscheinlich war unser Vater bei diesem Foto fast ausschliesslich auf die Familie fixiert. Die Leute ringsherum waren ja alltäglich – für damalige Verhältnisse! Heute macht es Spass, sich auf diesem Foto etwas genauer umzuschauen (für größere Version auf das Bild klicken).
Und was hat das mit unseren Bildern zu tun? Vielleicht wusste das Ara Güler damals beim Auslösen auch noch nicht so genau…