Jeder geht dort hin – und Sankt-Peter-Ording prägt sogar sein Image damit: über das Klo am Strand
Sankt Peter-Ording verändert sich. Das Meer drängt immer weiter auf den Deich zu und lässt den Strand im Norden um jährlich 6m schrumpfen. Die alten Pfahlbauten stehen immer öfter und länger im Wasser und werden nach und nach durch neue ersetzt.
Ich finde, dass es unbedingt mal Zeit wird, den alten Toiletten am Strand in ihrer luftigen Höhe einen Artikel zu widmen – bevor sie vollständig verschwunden sind. Ihre Silhouette wird zu einem Sehnsuchtsort hochstilisisert. Aber wenn es dann ernst wird und ihr Abriss kommt, dann… ….ja dann werden sie plötzlich wieder zu dem heruntergestuft, was sie eigentlich waren: ein Klo.
Die größte Besonderheit des sehr schlicht und pragmatisch gehaltenen Interieurs ist definitiv der Fußboden. Durch seine breiten Spalten kann man in ruhiger, entschleunigter Lage hinunter auf den Strand schauen.
Fegen ohne Kehrblech – einfach alles einmal nach links und nach rechts fegen, und schon ist der Sand verschwunden. Zurück zum Strand, wo er hergekommen ist.
Ein Blick wie in ein Museum. Noch wirkt diese Ansicht für uns vertraut, doch schon in wenigen Jahren werden Bilder wie diese uns wie von einer längst vergangenen Welt vorkommen.
Schaut mal genauer hin: offene, unverkleidete Wandkonstruktion, offen verlegte Kaltwasserleitung mit einfachstem Wasserhahn, Türen ohne Drückergarnituren, abgewetzter Holzfußboden…. . Ich höre schon den Satz der „Älteren“ zu ihren Enkelkindern: „…du kannst dir gar nicht vorstellen, wie das früher mal war…“
Ich bin ziemlich sicher, dass man später auf öffentlichen Image-Seiten nur die Aussenansichten der Gebäude präsentiert. Da wird es doch Zeit, auch mal die Innenansichten zu dokumentieren und der Nachwelt zu erhalten.
Die neue Gegenwart
Werbung mit WC – wie bereits oben erwähnt. Es gibt weltweit wohl kaum Urlaubsstädte, die mit Bildern von ihren Toilletten Marketing betreiben. Immer wieder Stelzenhäuser im Sonnenuntergang, oft auch als Imagehintergrund für Fotoshootings. Und die meisten davon sind… ein Klo!
So auch aussen beim örtlichen Lebensmittelhändler in Sankt-Peter-Ording: drinnen leckere Lebensmittel und draussen ein großes WC-Foto. Interessanterweise sieht das Original (übernächstes Bild) in einem entscheidendem Punkt anders aus: es steht „WC“ drauf. So viel Ehrlichkeit ging dann wohl doch zu weit. Die Astlöcher der geänderten Planken zeigen recht deutlich, dass das Bild nicht vor Anbringung der Buchstaben entstand, sondern im Nachhinein angepasst wurde. Pfui!
Vor über zwei Jahren ging ich nachts an den Strand von S.P.O. und freute mich über ein paar schöne Aufnahmen vom Sternenhimmel – ein Stelzenhaus natürlich im Vordergrund. Beim genauen Anschauen musste ich schon darüber lachen, dass das zentrale Motiv ein Toilettenhaus war. Wer sucht sich eigentlich ein Klo als Motiv aus? Irgendwie krank, oder?
Sieht man auf die neuen Toilettenhäuser von der Strandseite, dann prangert ein megagroßes „WC-H“ und ein WC-D“ am Giebel. Ich liebe Bindestriche – aber HIER, bei der Beschriftung der beiden Toiletten gehören sie definitiv nicht dazwischen. Oder liege ich da falsch?
Noch andere Stelzenhäuser werden folgen
Das Wasser kommt immer näher. So mancher Pkw-Fahrer wundert sich, dass sein Auto auf dem Strandparkplatz bei Flut nicht unbedingt im Trockenem steht. Die „Watfähigkeit“ gängiger Fahrzeuge kann man da schon schnell etwas überschätzen und der sandige Untergrund birgt manchmal zusätzliche Überraschungen.
Eines der wohl markantesten Bauwerke, dessen Abriss bereits festgelegt ist, ist die Strandbar 54°Nord. Sie gehört schon zu den imposantesten und stilprägenden Stelzengebäuden Sankt-Peter-Ordings.
Ich hoffe, dass es noch etwas dauern wird, doch in wenigen Jahren werden wir einen Neubau ein paar hundert Meter weiter zurück als Ersatz bekommen. Wahrscheinlich auch so viel besser und komfortabler wie die neuen Toilettenhäuser im Vergleich zu den alten. Doch gleichzeitig wird wieder ein bisschen vom alten Flair verloren gehen. So wie beim abgesenkten Blick durch die Bodenplanken hinunter zum Strand.
9 Gedanken zu “Ihre Tage sind gezählt”
schöner scheißen in St. Peter – herrlich.
Ja, das Wasser rückt näher, einige Gebäude sind schon im letzten Jahr abgerissen worden. Das macht wehmütig. Mitunter kratzen bei kalten Winter die Eisschollen am Gebälk, ein sehr imposantes Ereignis.
Ich freue mich, wie Reinhard Mey es singt, auf das Ende der Saison, dann kann ich ganz ungestört durch die Ritzen schauen, ohne dass jemand hektisch klopft:-)
Übrigens möchte ich Dir unbedingt mal einen ganz tollen Blog ans Herz legen, von einer Frau, die auf Eiderstedt nahe St. Peter lebt. https://meerblog.de
Lieber Gruß ins Weserbergland.
Kai
„Schöner scheißen in St. Peter“, ich musste gerade laut lachen Kai ….🤣
Dabei ist der Beitrag so schön geschrieben und ich finde es gerade ziemlich schade, dass ich mir die Häuschen nicht mal life anschauen kann. Aber deine Bilder sind ein adäquater Ersatz, lieber Jürgen; und für die Nachwelt eine poetische Erinnerung!
Liebe Grüße
Von Christiane
Liebe Christiane,
habe mich ja – bewusst und gezwungenermaßen – ausschliesslich auf den mit „H“ gekennzeichneten Teil der alten luftigen Geschäftsmodells beschränkt. Die andere Seite – so kann ich nur vermuten – ist wahrscheinlich schon alle 1-2 Jahre den aktuellen Hygiene- und Designstandards angepasst. Die Fotos dazu müssen aber andere machen 😉
Aber Kai hat das mit seinem etwas kräftigeren Ausdruck gut auf den Punkt gebracht: die Spannung zwischen gefühlsüberladenem Sehnsuchtsort (aussen) und prgmatischem Nutzen (innen).
Schönen Sonntag!
Jürgen
Lieber Jürgen, die Klotüren solltest Du Dir als Deko für Euer Geschäft sichern. Das hätte was. Echte Deko mit Geschichte. Also nicht für die Abteilung tragbares Klopapier, aber Bademoden, maritime Moden oder so wäre das ein toller Warenträger, Spiegel, was auch immer….. Dazu dann Deine Bilder in Holzrahmen aus eben diesem Holz….
Nur so eine Idee. Und ein Stück zweite Heimat zu Hause….
Ich finde Du hast die „alten“ Toiletten super eingefangen. Ich kann es förmlich riechen, wenn ich die Bilder betrachte.
Schade dass ich nicht so schnell nach SPO komme, um dieses „Örtchen“ festzuhalten.
LG Bernhard
Hallo Bernhard,
ich denke, dass sich an SPOs alten stillen Örtchen noch so manch interessantes Bild machen lässt. Die Struktur der Wände und die Mechaniken/Verschlüsse von Türen findet man schon länger nicht mehr in Werbeprospekten des Sanitärfachhandels 😉
An einem ziemlich stürmischen Nordseetag pumpt der Wind eine Unmenge von salzhaltiger Seeluft durch die vielen Spalten im Gebälk – anders als bei dir am Neckar! Da bleibt kaum noch ein Platz für aromatische Kohlenwasserstoffe menschlichen Ursprungs. So viel „Offenheit“ hat auch etwas Gutes an sich.
Viel Spaß mit Deiner Fotografie!
Jürgen
Hallo Herr Finkhäuser,
einmal mehr ein schöner Bericht mit schönen Bildern. Ich bin immer wieder angetan.
Aber was mich am meisten zu diesem Kommentar veranlasst hat: Ich habe bin eigentlich kein großer Anhänger von Sonnenuntergang/Sonnanaufgangsfotos. Irgebndiwe kann ich damit nichts anfangen und gelegentliche Versuche, Bilder eben davon zu machen, fand ich eher unansehnlich und belanglos.
Ihr Titelfoto allerdings lässt mich hoffen. Dieses Foto gefällt mir so sehr, dass ich jetzt wenigstens ein Ziel vor Augen habe, wie solch ein Stimmungsbild auszusehen hat.
Danke dafür.
Herzliche grüße aus Erftstadt
Uli Sieboldt
Hallo Herr Sieboldt,
wir haben alle den falschen Focus, wir schauen doch nur gemeinsam auf dieses bombastische Naturschauspiel. Zumindest geht es mir so. Und dann werden am Strand zusätzlich noch Unmengen von Handys gezückt. Man ist überwältigt.
Die Wahrheit: Sonnenuntergänge taugen nur als „Stimmungsverstärker“ und sind keine Selbstläufer. Auch wenn alle Leute am Strand nur auf den dunkelroten Punkt schauen. Das eigentliche Motiv, das diesen Untergang zu einem Unikat macht, sollte irgend etwas anderes sein.
Also als Ziel nicht das Sonnenuntergangs-/-aufgangsfoto, sondern das Foto von „Etwas“ …während des Sonnenauf- oder -untergangs. Dann wird das Foto von diesem „Etwas“ ein ganz besonderes.
Viel Erfolg
Jürgen Finkhäuser
Lieben Dank, das war hilfreich..
Viele Grüße
Uli S.