Melde dich nie freiwillig!

Ein Einblick in eine glücklich heldenfreie Familiengeschichte

Besichtigung der Wolfsschanze

Führerbunker Wolfsschanze
Führers Bunker in der Wolfschanze – Fuji X-T2 XF16mmF1.4 R WR 1/320 sec f/2.5 ISO 200

Die Geschichte der Eltern haben maßgeblichen Einfluss auf das eigene Heranwachsen und Leben. Sie geben ihre Lebenserfahrungen weiter, sie prägen. Ein wichtiger Grund für mich, in Masuren ein paar Bunker aus dem 2. Weltkrieg zu besichtigen.

Mein Vater wurde als gerade mal 18-jähriger 1942 zum Kriegsdienst eingezogen und war als Funker in der Nähe von Rastenburg stationiert. Wie sieht so ein Ort aus, der damals einen jungen Menschen sicher ein Stück geformt hat? Ohne ein vorheriges Stöbern in seinen alten Unterlagen und ohne weitere Vorbereitung besichtigten wir die Wolfsschanze – oder besser gesagt, die imposanten Trümmer davon.

zerstörter Bunker Wolfsschanze
Trümmerhaufen – Fuji X-T2 XF16mmF1.4 R WR 1/125 sec f/3.6 ISO 200

Der zweite Weltkrieg unterschied sich in vieler Hinsicht von vorherigen blutigen Auseinandersetzungen. Durch Raketen und Flugzeuge konnten Bomben erstmals auch über sehr große Distanzen weit weg vom eigentlichen Frontverlauf ihre volle Wirkung entfalten. Die meisten selbsternannten Führer neigen dazu, sich selbst bestmöglich zu schützen, während sie alle anderen dorthin schicken, wo Blei durch die Luft zischt. Die Sicherheit dieser „Führer“ wurde also plötzlich in Frage gestellt. Es begann das Zeitalter des Bunkerbaus.

Die Wolfsschanze ist ein ausdruckvolles Zeitzeugnis der Entwicklung der Bunkerkonstruktionen. Von leicht verstärkten Dächern mutierte der Befestigungswahn hin zu Bunker-im-Bunker-Varianten mit ein paar kleinen Räumen.

zerstörter Bunker Wolfsschanze
Bunker im Bunker – Fuji X-T2 XF16mmF1.4 R WR 1/60 sec f/2.8 ISO 320

Optisch sind diese Giganten auch nach ihrer Sprengung immer noch sehr eindrucksvoll. Und sind auch Orte von besonderer Geschichte, wie zum Beispiel dem gescheiterten Attentat auf Hitler durch Stauffenberg. Was wäre der Welt erspart geblieben!

zerstörter Bunker Wolfsschanze
Meer aus Stahl und Beton – Fuji X-T2 XF16mmF1.4 R WR 1/60 sec f/2.5 ISO 200

Einer dieser Bunker beherbergte die Kommunikation. Wir sahen den Eingang zu dem Klotz und ich fragte mich, ob mein Vater hier vielleicht auch rein- und rausgegangen ist. Möglich wäre dieses gewesen. Rastenburg lag in der Nähe und Funker gab es hier auch.

Nachrichtenknoten-Vermittlungsstelle - zerstörter Bunker Wolfsschanze
Eingang zur Nachrichtenknoten-Vermittlungsstelle – Fuji X-T2 XF16mmF1.4 R WR 1/80 sec f/2.8 ISO 200

Als ich das Bild auf der Infotafel sah, kamen mir aber ziemlich große Zweifel. Diese linientreuen Soldaten passten nicht in das Bild, das ich von meinem Vater hatte. Es war für mich logisch, dass hier nur handverlesene Leute Dienst hatten – wohlmöglich alle SS-Angehörige.

Hinweistafel zerstörter Bunker Wolfsschanze
Infotafel mit linientreuen Funkern – Fuji X-T2 XF16mmF1.4 R WR 1/60 sec f/3.6 ISO 250

OKH Mauerwald

Masuren ist sehr weitläufig und die Anzahl von Bunkern, Befestigungsanlagen und Kommandostrukturen auch. Wir hörten bei unserer Besichtigung der Wolfsschanze, dass es noch ein zweites Hauptquartier in der Nähe gäbe – das Oberkommando des Heeres. Ähnlich imposante Bunker, aber nicht gesprengt.

Mauerwald - Bunker OKH
Funkbunker „Mauerwald“ des Heeres – Fuji X-T2 XF16mmF1.4 R WR 1/800 sec f/2.8 ISO 200

Zwei dieser Bunker beherbigte die Funkzentrale, die zu allen Teilen des Heeres Kontakt hatte. Heutzutage findet man hier ein kleines Museum mit alten Funkgeräten und ein paar Bildern an der Wand.

Funkgeräte Bunker Mauerwald
historisches Gerät – Fuji X-T2 XF35mmF1.4 R 1/60 sec f/1.6 ISO 12800

Laut Wikipedia soll sich Hitler gegen 15:30 Uhr erschossen haben. Vielleicht spielt die stillgelegte Wanduhr auf das nahe Ende an…. . Nicht die einzige Inszenierung im Museum.

kaum zu ertragen – Fuji X-T2 XF35mmF1.4 R 1/60 sec f/1.4 ISO 3200

Ein anderes, eher unspektakuläres Bild zog mich in den Bann. Es war eine Aufnahme von einem Funker, der einen Kopfhörer hält. Ein rangloser, schlicher undekorierter NoName. Von der Körperhaltung, der bestimmten Art, wie seine Hand den Hörer hält, könnte ich fast wetten, dass dieses mein Vater war. Ist wahrscheinlich totaler Quatsch, denn durch Uniform und recht einheitlichen Haarschnitt könnte das fast jeder sein. Doch speziell in Kombination mit seiner schon damaligen Leidenschaft der Fotografie wäre es nicht ausgeschlossen, wenn er dort als „Model“ gesessen hatte. Und hier hatte er definitv mal gearbeitet.

Diese Handhaltung kommt mir durch spätere jahrelange gemeinsame Arbeit in unserem Büro jedenfalls sehr vertraut vor.

Ich hätte ihn so gern danach gefragt…

Ausstellungsbild – Fuji X-T2 XF35mmF1.4 R 1/60 sec f/1.4 ISO 4000

Ein Blick ins private Archiv

Die Bunkerbesuche verlangten nach Aufklärung. Zum Glück gibt es Zuhause noch einige Dokumente, sodass sich seine Kriegszeit etwas nachvollziehen lässt. Im Mai 1942 wurde mein Vater als siebzehnjähriger zum Reichsarbeitsdienst eingezogen – so eine Art Vorschule für das spätere Soldatendasein. Siebzehn – was für eine Zeit.

als 17jähriger Mai 1942 im Reichsarbeitsdienst – Spaten statt Abitur

Im Herbst 1942 kam dann der Einzugsbefehl der Wehrmacht ins Haus geflattert und sein Beginn in einer Funkereinheit. So gelangte er auch in die Nähe des masurischen Rastenburgs.

Seinem musikalischem Gehör verdankte er nicht nur seinen Funkerposten, sondern auch den Platz in einer Band. Zusammen mit ein paar Berliner Berufsmusikern begleitete er dann private Feiern und Anlässe. Zu einer Zeit, als Tonträger und Verstärker noch keine Alternative waren, galten solche Gruppen als ein besonderer Schatz der Kompanie, den es zu bewahren galt. So wurde mein Vater weder nennenswert befördert noch versetzt. Seine Begabung, ohne Noten nur nach Gehör mit Akkordeon und Mundharmonika (gleichzeitig) die jeweils populären Schlager nachzuspielen, war nicht so einfach zu ersetzen. Zu später Stunde wurden so internationale Schlager gespielt, mit deren Notenblättern man lieber nicht erwischt werden wollte.

Und auch von meines Vaters Seite schien es nicht die geringsten Ambitionen gegeben zu haben. Kann das gut nachvollziehen. Titel, Ämter, Beförderungen passen einfach nicht zu uns. So wie das mangelhafte Notenlesen beim musizieren – das habe ich von ihm geerbt.

Sein Entlassungsschreiben vom Mai 1945 spiegelt diese Geschichten in nur einem einzigen Dokument am eindruckvollsten wieder: Er hatte es in drei Jahren Kriegseinsatz gerade mal bis zum Obergefreiten geschafft. Weniger geht definitiv nicht. …und durfte zum Ende ein Akkordeon mit nach Hause nehmen.

„…this instrument being his property and a means for earning his livings.“

Ok. Das mit dem Lebensunterhalt hat mein Vater sicher etwas übertrieben… aber trotzdem Danke, Richard!

nach fast 3 Jahren Soldat immer noch Obergefreiter- „er darf sein Akkordeon mitnehmen“

„Melde dich nie freiwillig“, das war die Botschaft meines Vaters, als ich als Wehrpflichtiger zur Bundeswehr musste. Und das sagte er nicht nur einmal.

Mein Großvater hatte den ersten Weltkrieg überlebt. Er schien im Lazarettdienst eine einfache Position bekleidet zu haben und hat so die grausamen Schlachten zwischen Deutschland und Frankreich überstanden. Ich möchte wetten, dass der gut gemeinte Ratschlag, den ich von meinem Vater erhielt, eigentlich schon von meinem Großvater stammte. Als mein Vater zum Militär musste, wird mein Großvater ihm seine Lebenserfahrung bestimmt nicht vorenthalten haben. Mein Vater war noch viel zu jung, um das selbst zu erkennen. Und so wandert diese Weisheit sehr wahrscheinlich von Generation zu Generation durch unsere Familie…

„Melde dich nie freiwillig“

Ein paar Tage in Masuren waren sehr aufschlussreich für mich. Schade, hätte da jetzt noch so einige Fragen an meinen Vater gehabt…

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