Eine mehrtägige Fahrradtour – etwas für Verrückte?
Einmal im Jahr bei Sonnenaufgang setze ich mich auf mein einfaches Fahrrad und starte ein kleines Abenteuer. Zwei Satteltaschen und ein Zelt geben dabei das Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit. Für ein paar Tage…
Ganz allein und ohne festes Tagesziel geht es früh aus dem Haus. Es ist Feiertag. Die Stille, die Einsamkeit und das Vogelzwitschern stehen in großem Gegensatz zum normalen Alltag.
Die Route nach Amsterdam
Ganz blauäugig funktioniert das natürlich nicht. Eine Idee und ein Plan gehören dazu, wenn man nicht an jeder Kreuzung eine Entscheidung fällen will. Wenn das Ziel feststeht und die Rückreise per Bahn geregelt, kann es an die Routenplanung gehen.
Es gibt zahllose Methoden. Hier ist meine: Je nach Gegend nutze ich unterschiedliche Planer in Netz. Der Radroutenplaner Niedersachsen und der Teutonavigator (eigentlich basierend auf Openstreetmap bzw. outdooractive) waren für das Ziel Amsterdam besonders geeignet. Der NRW-Radroutenplaner , der in unserer Gegend ziemlich aktuell ist, hört an der niederländischen Grenze auf.
Ich erstelle mit beiden Programmen jeweils gpx-files, die ich auf mein Garmin-Navi übertrage und auf „anzeigen“ stelle. Dabei achte ich schon bei der Erstellung auf den Plattformen darauf, dass die verschieden erstellten Routen sich ab und zu kreuzen oder den selben Weg nutzen. Dann kann ich nach Laune oder lokalen Gegebenheiten zwischen beiden wechseln. Oft ist ein Weg eine Art „Expressroute“ und der andere an schöner Landschaft orientiert. Der eine führt durch sandigen Waldboden und der andere auf dem Fahrradweg enlang der Hauptstraße.
Das Gerät zeichnet auch den gefahrenen Weg genau auf. Auf dem Bild sind die vier Tage in unterschiedlichen Farben abgebildet.
Durch die eigene Wegplanung komme ich nur gelegentlich auf bekannte Themen- oder Flussrouten. Das ist auch gut so. Ich erinnere mich noch an ein paar Kilometer auf dem Ruhrtalweg bei Schwerte. Große Reisegruppen, die sich an engen Stellen begegneten, unsichere Radfahrer und unterschiedliches Tempo. Das möchte ich nicht den ganzen Tag lang erleben.
Packliste
Ein paar Grundsätze: Weniger ist mehr. Fehlendes kann man unterwegs kaufen. Wer billig kauft, kauft zwei Mal. Essen unterwegs statt kochen. Wer dieses beherzigt, kann für ein paar Tage mit recht wenigen Dingen auskommen. Vor der ersten Fahrt vor ein paar Jahren hatte ich mir eine Liste mit den aus meiner Sicht richtigen Dingen gemacht und diese nach jeder Reise auf Tauglichkeit durchgesehen und verfeinert. Meine Liste würde bestimmt nicht Eure sein, doch mit diesen Grundsätzen findet Ihr bestimmt Euer Wunschgepäck.
Ich bin ja ein Fan von Camping-selberkochen-Romantik. Aber allein? Inzwischen nehme ich bei Touren solcher Art keinen Kocher mehr mit. Wenn es in der Umgebung nichts warmes gibt – dann gibt es halt kaltes.
Tipp: morgens früh aufstehen, kleiner Snack beim Zeltabbau und dann 1-2 Stunden später auf der Tour schönes Frühstück mit Kaffee in einer Bäckerei.
Und noch ein Vorteil von wenig Gepäck: wie man auf dem Foto sieht hatte ich mir unterwegs für Sonntag zur Sicherheit noch ein paar zusätzliche Lebensmittel gekauft. Aber dafür braucht man eben genügend geplanten Freiraum.
Ach ja: Kamera nicht vergessen! Ich hatte meine X-E2 mit dem 18mm und dem 35mm dabei. Kleine Lösung und sehr variabel.
Reisefotos
Die Bilder entstanden ja mehr oder weniger spontan und sollten eigentlich nur einen gewissen Erinnerungswert haben. Ein paar davon möchte ich hier aber trotzdem zeigen. Vielleicht animiert es Euch, mal die eine oder andere Gegend mit dem Fahrrad zu erkunden.
Drenthe und Friesland
Ich hätte nicht gedacht, dass die Provinzen jeweils so unterschiedlich wären. Drenthe erinnerte mich an das Tecklenburger Land – nur flacher. Gutshöfe, viel Wald, kleinteilig, gepflasterte Straßen. Dagegen wirkte Friesland schon wesentlich „aufgeräumter“ – viel Freifläche und lange gerade Straßen- und Raumstrukturen. Leider auch wenig Baumbestand, um den scharfen Nordwestwind abzufangen.
Seht Ihr auf der Flagge Frieslands auch rote Herzen? Ist aber falsch! Habe mich aufklären lassen, dass es sich dabei um Wasserlilien handeln soll.
IJsselmeer-Damm
Vom Damm am Campingplatz konnte man abends schon das frühmorgentliche Ziel am Horizont sehen – ist halt der Vorteil an Friesland. Der künstliche 32km lange Damm (Afsluitdijk), der mit zu seiner Fertigstellung 1932 ein riesiges Binnenmeer schuf. So wurde die Zuederzee zum IJsselmeer.
Allein reisen – warum eigentlich?
Ein paar Tage mal die Seele baumeln lassen. Das wäre meine erste Antwort. Aber es gibt noch eine zweite: Im Gegensatz zu Gruppenfahrten kommt man viel öfter mit netten Menschen ins Gespräch. Von den vielen Episoden hier mal eine typische:
Den älteren Herrn vom Bild unten traf ich am Anfang des Dammes und wir radelten über eine Stunde zusammen. Ein erster prüfender Blick offenbarte ein einfaches Rad und eine kleine Wasserflasche im Halter – aber ein WD-40-Spray in der Lenkertasche. Interessante Kombi. Er erzählte, dass er bereits viele Länder mit dem Fahrrad bereist habe und heute um das IJsselmeer fahren wollte. Das wären auf seiner Route so ca. 200 km. Seiner Frau, die morgens bei Abreise noch schlief, hatte er nur einen Zettel hingelegt: „bin Fahrrad fahren“. Erinnerte mich etwas an das Buch vom Hundertjährigen.
Sein strammes gleichbleibendes Tempo und die Versicherung, er habe ein Handy dabei, beruhigten mich dann doch irgendwie.
Nordholland
Ferien-Küsten-Dünen-Sandstrand-Land. Ist wohl die bessere Beschreibung. Nach einem bedeckten windigen Vortag und morgen knallte plötzlich die Sonne vom blauen Himmel und es wurde hochsommerlich. Südeuropäisches Urlaubsfeeling! Der Fahrradweg, der sich durch die Dünen schlängelte erinnerte mich an ähnliche – und eben ähnlich heisse – Umgebungen südlich von Bordeaux. Ein sommerlicher Tag!
Der Abschied vom Meer
Dyk aan Zee, meine südlichste Stadt am Meer bevor es östlich nach Amsterdam ging, wirkte schon sehr durch das nahe Stahlwerk geprägt. Noch nett für einen Wochenendausflug aus der Umgebung, aber nicht mehr so natürlich. Am Sonntagmorgen roch es dort nach Kohlenofen, was wahrscheinlich aus den hohen Industrieschornsteinen hinüber wehte. Ein Vorgeschmack auf die weitere Reise entlang der Wirtschaftszone bis Amsterdam.
Der Ausflug endete in der Hauptstadt. Und vor dem Einstieg in den Zug war noch ein paar Stunden Zeit für eine Stadtbesichtigung …siehe letzten Blog-Post.
Nicht alles gibt es frei Haus
Mein Tipp für alle noch unentschlossenen: Geht vor Eure Tür und erlebt was! Fahrt mit dem Fahrrad raus in die Welt anstatt sich mit ihm beliefern zu lassen.
Wie sieht unsere aktuelle digitale Welt aus? Spass, Abenteuer, exclusive Erlebnisse sind – so man der Werbung traut – nur noch einen Mausklick entfernt und alles wird nach Hause gebracht. Das Netz, ja die gesamt Welt verspricht inflationär, dass wir einfach und entspannt auf unserem Sofa sitzen bleiben sollen.
Wer´s glaubt…
5 Gedanken zu “Fahrradtour nach Amsterdam”
Hallo Jürgen,
habe hier dein Blog gefunden, finde das ist eine tolle Beschreibung👍🏼 Deiner Eindrücke und die Lust am reisen mit dem Fahrrad.
meine Frau und ich planen von Freiburg aus nach Amsterdam zu fahren. Wir beide sind sehr geübte Fahrradfahren jedoch hat noch keiner von uns eine mehrtägige Reise auf einem Trekkingrad gemacht.
Eine Frage, wie organisierst du dich bezüglich Unterkunft? Von vornherein planen oder eher spontan ?
Gruß,
Anita und Reinhold
Hallo Reinhold,
Freiburg nach Amsterdam ist ja genial – gerade als erste Mehrtagstour. Ihr könnt ja bis Emmerich am Rhein lang. Es sei denn, Ihr möchtet nicht auf so bekannten Routen unterwegs sein und biegt irgendwann früher nach Westen ab – incl. ein paar Punkte für Eure persönliche Bergwertung.
Meine „Alleinunterwegs und Campingversion“ besteht nur aus einer Reihe von Campingplätzen, die ich mir im Vorfeld anschaue. Dann kann ich – je nach Lust und Laune – irgendeinen davon nehmen. Im Regelfall gibt es einen mit kleinerer Tagesleistung und dann einen zweiten mit größerer Entfernung. Man darf aber nicht vergessen, dass sich dieser Unterschied dann mit jedem weiteren Tag „aufschaukelt“. Zu zweit ist das vielleicht anders. Ich kann mir vorstellen, dass man da eine abgesprochene Tagesstrecke plant. Ich denke, dass man zu Zweit auch neben dem Radfahren selbst vieles auf dem Weg gemeinsam erkunden und erleben kann.
Und dann die Frage, wie Ihr übernachten wollt. Bei Camping und minimalem Komfort seid Ihr dann auch schnell noch bei zwei weiteren Fahrradtaschen vorn gelandet. Aber warum nicht! Das ist schon ein tolles Gefühl von Freiheit. Alternativ könnt Ihr ja auch feste Übernachtungen suchen. Wenn Ihr eine beliebte Route wie am Rhein entlang machen wollt, kann man sich vielleicht mal erkundigen, ob eine Vorreservierung nötig ist. Da gibt es bei den Tourismusbüros in den jeweiligen Orten sicher gute Infos zu. Habe selber mal im Raum Köln/Bonn zu Pfingsten zwei Quadratmeter für mein Zelt gesucht. War richtig schwierig. So kann es zu beliebten Zeiten dann auch mit festem Dach über dem Kopf nicht leicht sein.
Ich denke, dass der Schlüssel darin liegt, sich über die gewünschte Tagesdistanz und vielleicht Wunschzwischenstopps abspricht. Dann kann – so das Wetter mitspielt – auch vieles vorher reserviert werden.
Grüße
Jürgen